Ein besonderes Projekt in besonderen Zeiten
Alles Liebe, Dein_e…
Briefe aus dem 900. ins 1000. Jubiläumsjahr der Stadt Freiburg
Die vergangenen Monate waren turbulent und die Pandemie hat so manches tüchtig durcheinandergewirbelt. Auch das Stadtjubiläum blieb davon alles andere als unberührt und es galt, neue Projekte zu kreieren, die auch unter den schwierigen Bedingungen einer Pandemie durchgeführt werden können und die - im besten Fall - die Chance bieten, sich unter großer Beteiligung der Bevölkerung mit ihr und ihren Folgen auseinanderzusetzen und diese außergewöhnliche Zeit zu reflektieren.
Mit „Alles Liebe, Dein/e. Briefe aus dem 900. ins 1000. Jubiläumsjahr der Stadt Freiburg“ wurde ein solches Pandemie kompatibles Projekt gefunden.
Und so funktioniert es:
Schreiben Sie einen Brief, der erst in 100 Jahren geöffnet wird.
Niemand außer Ihnen selbst weiß, was in dem Brief steht. Den Adressaten/ die Adressatin bestimmen Sie selbst.
Nachdem Sie diesen Brief verfasst haben, schicken Sie ihn auf die Reise ins nächste Jahrhundert. Entweder, indem Sie ihn über den Postweg der Projektgruppe Stadtjubiläum (Anschrift: Rathausplatz 2-4, 79098 Freiburg) zukommen lassen oder ihn direkt in den eigens für dieses Projekt aufgestellten Briefkasten am Rathaus unter den Arkaden einwerfen.
Ihre Briefe werden von der Projektgruppe Stadtjubiläum in Empfang genommen, nummeriert und in eine Liste eingetragen. Die Adressaten werden notiert, die Absender (also Sie) bleiben namentlich anonym.
Anschließend gehen die Briefe ins Freiburger Stadtarchiv, wo sie in einem speziellen Behälter eingelagert werden. Dieser Behälter wird nach Abschluss der Aktion am 15. Juli 2021 geschlossen, verplombt und bleibt 100 Jahre ungeöffnet!
In 100 Jahren wird der Behälter geöffnet und die Briefe werden ihren Empfängerinnen und Empfängern zugestellt.
Die Idee:
Mit diesem Projekt, das auf einer Idee von Johannes Rühl, ehemaliger stellvertretender Kulturamtsleiter der Stadt Freiburg, basiert, kommt das durch Corona nicht unberührt gebliebene Jubiläums-Fieber kommt nun in einer eher nachdenklichen Art daher.
Einen Brief schreiben, der erst im Jahr 2120 geöffnet wird und dessen Empfänger heute noch nicht einmal geboren ist, scheint auf den ersten Blick eine eher seltsame Idee zu sein. Doch bei näherer Betrachtung bietet sie eine einzigartige Chance sich mitzuteilen und weist viele interessante Aspekte auf.
Was würden wir heute jemanden sagen, der im Jahr 2120 lebt? Welche Themen, welche Informationen könnten Menschen in 100 Jahren interessieren? Was würden sie über Freiburg im Jahr der großen Pandemie wissen wollen? Vielleicht würden sie lachen oder ungläubig staunen, wenn sie lesen, mit welchen Problemen wir damals im Jahr 2020 zu kämpfen hatten?
Die Briefe-Aktion bietet die Chance, sich in einer Zukunft zu äußern, die wir alle nicht mehr erleben werden, für die wir aber heute Verantwortung tragen.
Und: Wenn wir selber an unsere Urgroßeltern und Ururgroßeltern denken, gäbe es da nicht einiges, was uns interessiert hätte, an ihren Sorgen, ihrem Alltag, ihren Hoffnungen und ihren Gedanken an die Zukunft? Stellen Sie sich vor, Sie erhielten eines Tages einen Brief von ihren Verwandten, der im Jahr 1920 an Sie adressiert wurde. Ein aufregender Moment!
In den Briefen, die wir heute verschicken und die in 100 Jahren gelesen werden, werden einzigartige Inhalte stehen. Mit ihnen entsteht eine kollektive Hinterlassenschaft für die Nachwelt, Texte und Gedanken dieser ganz anderen zwanziger Jahre, die in keinem Geschichtsbuch, keiner Zeitung, keinem Roman zu finden sein werden. Den Menschen in 100 Jahren bieten wir einen einmaligen Einblick in den Zustand der Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts. Wir schaffen eine scheinbare Kongruenz zweier weit auseinanderliegender Zeitpunkte. Der Schreibende stellt sich den Lesenden vor, der Lesende den Schreibenden.
Ein bisschen Science Fiction bleibt nicht aus. 100 Jahre sind eine lange Zeit. Wer schreibt kommt nicht umhin sich eine Vorstellung von der Zeit zu machen, in der die Zeilen gelesen werden. Vielleicht tut man gut daran, dem Brief ein eigenes Haar beizulegen, um so einen genetischen Fingerabdruck zu hinterlassen. Im Wesentlichen sind es aber Gedanken, die auf die Reise gehen. Was könnte wichtig sein, was soll in Erinnerung bleiben, was interessiert überhaupt. Es steht nicht gut um diese Welt, in der wir leben und für die wir Verantwortung tragen. 100 Jahre später müssen unsere Sorgen recht antiquiert daherkommen, da vieles, was uns heute unlösbar scheint, längst entschieden sein wird. Wo lagen wir richtig? Wo lagen wir falsch? Das werden wir nicht erfahren. Die Leser_innen unserer Zeilen wissen es!
Dem 1000-jährigen Stadtjubiläum hinterlassen wir mit dieser Aktion ein Geschenk von einmaligem kulturhistorischem Wert. Die Briefe bieten eine Momentaufnahme unserer Zeit, einen höchst subjektiven Einblick in die Gemütslage der Menschen und den Zustand der Stadt und der Welt, damals 2020, als eine Pandemie die Menschheit bedrohte.
.„Mit diesen Briefen erhält das 1000-jährige Stadtjubiläum ein starkes Echo aus einer außergewöhnlichen Zeit der Freiburger Stadtgeschichte. Und da es sich um verschlossene, private Briefe handelt, vermitteln sie den Menschen in 100 Jahren ein eindrückliches Bild der subjektiven Realität von heute."
(Johannes Rühl)